Ein „Ruck“ für das Plattdeutsche

 

GN Leserbrief vom 16.04.2011

 
BEZUG: GN-Artikel „Zweisprachige Ortstafeln in Gildehaus“ vom 8. April


Sicherlich bringen diese zweisprachigen Tafeln die Verbundenheit vieler Grafschafter mit dem Plattdeutschen ihrer Heimat zum Ausdruck, leider kommen sie mir aber eher wie Grabmale vor denn als Zeugnis einer lebendigen Alltags-Sprachkultur! Nach meiner Einschätzung wird das Platt als Umgangssprache in der Obergrafschaft in den nächsten 20 Jahren vollkommen verschwunden sein. Jahrelang hat die Schule den Eltern dringend geraten, Zuhause mit ihren Kindern möglichst Hochdeutsch zu sprechen, damit sie es später im Deutschunterricht nicht so schwer hätten. Und das hat gefruchtet: Die Eltern sprachen ab sofort nur noch untereinander Platt, mit den Kinder aber Hochdeutsch.
Diese heute etwa 30-Jährigen besitzen nur noch einen passiven plattdeutschen Wortschatz, in deren Familien, also auch mit den Enkeln, inzwischen nur noch Hochdeutsch gesprochen wird, und dies nicht nur in den Städten Schüttorf und Bentheim, sondern genauso in den Ortsteilen und Bauernschaften. Das Enkelkind muss dann erst Sprachunterricht bei der Großmutter nehmen, will es in einem plattdeutschen Laienspiel mitmachen, echt klingt das dann aber nicht mehr.
Ich erlebe Plattdeutsch als Alltagssprache nur noch innerhalb der heutigen Rentnergeneration und es wird mit dieser Generation aussterben. Und hier unterscheidet sich die hiesige Situation entschieden von anderen Sprachregionen, beispielsweise Südtirol: Dort spricht jeder, jede Familie Südtiroler Dialekt, außerdem noch Hochdeutsch und Italienisch. Aber auch im Schwäbischen und in Bayern wird Zuhause erst einmal die Muttersprache gelernt –und das ist der Dialekt – und erst später in der Schule Hochdeutsch.
Der entscheidende Unterschied zu unserer Region scheint mir darin zu liegen, dass die „Menschen woanders offenbar stärker an ihrer Sprache hängen, die ihre Identität bestimmt und sie miteinander verbindet. Dieses Selbstbewusstsein vermisse ich hier: Stolz sein auf diese schöne und kraftvolle Sprache, zu ihr zu stehen und sie an die Nachfahren weiterzugeben, so wie es unzählige Generationen lang selbstverständlich üblich war. Wenn diese Sprache endgültig verschwindet, geht ein jahrhundertealtes Kulturgut unwiederbringlich verloren.
Ändern ließe sich diese Situation aus meiner Sicht nur, wenn ein „Ruck“ durch die Grafschaft Bentheim ginge, wenn allen deutlich würde, dass es eigentlich schon fünf nach zwölf ist, wenn das Plattdeutsche von allen wieder wertgeschätzt würde, wenn man sich wieder aktiv in den Familien um die Sprache bemühen würde und wenn jeder, der Platt spricht, nicht als altmodisch, hinterwäldlerisch, ungebildet oder „uncool“ angesehen würde.
Hier hätte die Schule viel wiedergutzumachen, allerdings reicht es dafür nicht aus, einmal im Jahr einen plattdeutschen Vorlesewettbewerb zu veranstalten.
Dr. med. Michael Hoffmann Am Kathagen 9 Bad Bentheim